Menschen machen ein Dorf aus. In dieser Rubrik finden Sie spannende Persönlichkeiten aus Dürrenmettstetten – und besondere Gäste, die uns besuchen. Ihre Geschichten zeigen, wie vielfältig und lebendig unser Flecken ist. Von jungen Talenten bis zu bekannten Stimmen: Hier kommen die Menschen zu Wort, die Dürrenmettstetten zu einem besonderen Ort machen.
Anton Steinwand
Vor der Frankfurter Halle drängten sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Zwischen Ständen mit Gewehren, Spezialjacken, -hosen und schweren Schuhen mit breiten Sohlen herrschte geschäftiges Treiben. Eltern zogen rollbare Kisten hinter sich her. Es war laut, voll – Deutsche Meisterschaften im Sportschießen.
Mitten im Trubel: Anton Steinwand aus Dürrenmettstetten, elf Jahre alt. Zusammen mit seiner Mutter Tatjana war er angereist, um in der Disziplin Lichtgewehr anzutreten. Zum ersten Mal stand er auf dieser großen Bühne.
Drinnen reihten sich Schießstände aneinander. Überall konzentrierte Gesichter, daneben Stative, Taschen, Wagen. Manche hatten ihre Ausrüstung wie eine mobile Werkstatt aufgebaut. Und Anton? Er brachte nur sein Lichtgewehr und seine Schießjacke mit. „Bei der Ausrüstung gibt es ein riesiges Gefälle“, sagt seine Mutter. Beeindrucken ließ er sich davon nicht.
An der Linie stand er ruhig, das Lichtgewehr im Anschlag. Doch schon beim Einschießen gab es Probleme: Die Anlage fiel aus. Zuerst hieß es, das Gewehr sei defekt. Er bekam ein anderes – wieder Ausfall. Schließlich musste er den Stand wechseln. Wertvolle Zeit verstrich. Anton blieb gelassen: „Ruhig atmen, konzentrieren.“
Diese Ruhe ist seine Stärke. Seit zwei Jahren trainiert er dienstagabends im Schützenverein Dettingen, seinem Heimatverein. Dorthin kam er durch den Nachbarn Roland Schmid, einen international erfolgreichen Sportschützen und Jugendtrainer. „Ich hab einfach mal gefragt, ob ich mitkommen kann“, erzählt Anton. Schmid nahm ihn mit – heute ist er Antons Vorbild. „Dafür habe ich 20 Jahre gebraucht“, sagte Schmid, als er erfuhr, dass sein Schützling sich für die Deutschen Meisterschaften qualifiziert hatte.
Ein Lichtgewehr sieht fast aus wie ein Luftgewehr, schießt aber mit Lichtimpulsen. Die elektronische Scheibe zeigt Treffer farbig an: grün, gelb, rot. Lautlos, sicher, ideal für Kinder. „Ein Luftgewehr macht noch mehr Spaß, ist auch ein bisschen lauter, wenn man trifft“, sagt Anton. Nach den Ferien darf er damit trainieren – eine Ausnahme, die normalerweise erst ab zwölf Jahren gilt.
Bei den Württembergischen Meisterschaften war sein Trainer verhindert, das Gewehr falsch eingestellt. Trotzdem schoss Anton 147 Ringe, wurde Vierter – und qualifizierte sich für Frankfurt. Dort trat er in der Klasse Schüler II (bis 12 Jahre) an, mit rund 130 Teilnehmenden. Insgesamt waren über 750 Kinder und Jugendliche dabei, dazu Trainer, Eltern, Geschwister – eine geschäftige Kulisse.
Von alldem ließ sich Anton nicht beirren. Er bleibt ruhig, auch wenn andere um ihn herum nervös werden. In der Schule weiß kaum jemand, dass er in Frankfurt dabei war. „Ich hab ja erst zwei Wochen vor den Ferien erfahren, dass ich mich qualifiziert habe. Da wollte ich erst mal sehen, wie das so wird“, sagt er und zuckt die Schultern. Stolz ist er trotzdem – auch wenn er es nicht zeigt. Ein ruhiger Typ, mit einem Strahlen, das ansteckt.
Und was kommt als Nächstes? „Jetzt erst mal Luftgewehr“, sagt Anton. „Später vielleicht Kleinkaliber.“ Damit darf man ab 14 Jahren beginnen, wenn man gut genug ist und die Eltern zustimmen. „Da knallt es dann auch ein bisschen. Und man schießt mit echten Patronen aus 50 Metern Entfernung.“
Dialog und Humor gegen den Hass
Wenn Michael Blume lacht, reißt er andere mit. Wer ihm zuhört, merkt sofort: Hier spricht jemand, der den Hass kennt – und ihm dennoch mit Klarheit, Zuversicht und Humor begegnet. „Der Hass auf Juden endet nie bei den Juden“, sagt er. „Er trifft Bildung und Aufklärung – und letztlich uns alle.“ Für Blume ist Antisemitismus kein Randthema, sondern eine Gefahr für die Demokratie.
Blumes Lebensweg ist ungewöhnlich. 1976 in Filderstadt geboren, machte er zunächst eine Banklehre, bevor er in Tübingen Religions- und Politikwissenschaften studierte und über Religion und Hirnforschung promovierte. Doch Theorie allein reichte ihm nicht. Seit 2003 arbeitet er im Staatsministerium Baden-Württemberg, zuerst als Referent für interkulturellen und interreligiösen Dialog. 2015/16 reiste er im Auftrag des Landes in den Nordirak, um das Sonderkontingent für jesidische Frauen und Kinder vorzubereiten und zu begleiten. Rund 1.000 Überlebende des Völkermords durch den sogenannten Islamischen Staat fanden so Schutz in Baden-Württemberg. Diese Aufgabe hat ihn geprägt – ebenso wie seine enge Freundschaft mit Überlebenden der Shoa.
2018 ernannte die Landesregierung Baden-Württemberg Blume zum ersten Beauftragten gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben. Seitdem ist er unermüdlich unterwegs: in Schulen, Vereinen, auf Kirchentagen, in Gemeinden und Dialogforen. Er warnt vor den Gefahren digitaler Verschwörungsmythen, die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft radikalisieren. Anerkennung blieb nicht aus: Er erhielt die Otto-Hirsch-Medaille für seinen Einsatz in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit. Das Bundesverdienstkreuz lehnte er jedoch ab – aus Protest, weil Deutschland bis heute keinen dauerhaften Schutz für Jesidinnen beschlossen hat.
Blume lebt, was er predigt. Er ist evangelischer Christ, verheiratet mit der deutsch-türkischen Muslima Zehra und Vater von drei Kindern. „Vielfalt nimmt uns nichts, sie gibt uns viel“, sagt er. In seiner Familie, seinem Team und im Austausch mit jungen Menschen erlebt er täglich, wie Dialog, Mitgefühl – und Humor – dem Hass die Stirn bieten. „Zweifel müssen sein“, betont er. „Denn aus dem dialektischen Zweifel wächst Überzeugung.“
Für Blume sind Begegnungen der Kern seiner Arbeit: „So sehr ich Bücher und Podcasts schätze, glaube ich, dass persönliche Begegnungen etwas Einzigartiges haben. Ein informativer Vortrag ließe sich digital abhalten, aber das Miteinander und die Gespräche vor Ort gehen weit darüber hinaus.“
Trotz Anfeindungen bleibt er zuversichtlich. „Es sind Liebe, Glaube, Hoffnung. Zur Liebe gibt es tausend Lieder, zum Glauben tausend Texte. Aber wir sollten auch die Hoffnung mehr schätzen – besonders Humor und Musik.“
Am Freitag, 26. September2025 war Michael Blume in Dürrenmettstetten zu Gast und sprach auf Einladung der Ortsverwaltung und der evangelischen Gesamtkirchengemeinde im rappelvollen Sportheim über das Thema „Warum Antisemitismus alle angeht“







